Der International Cosmic Day ist an der Villa, wie jedes Jahr, Anlass, Myonen zu messen. Diese Elementarteilchen entstehen durch Beschuss der Atmosphäre durch kosmische Strahlung. Beide sind mit nahezu Lichtgeschwindigkeit unterwegs, aber Myonen machen deutlich weniger Wechselwirkungen und können hunderte Meter in den Boden eindringen. Dass man sich dies bereits zu Nutze gemacht hat, wurde hier zum ICD23 bereits berichtet, so z.B. zum „Durchleuchten“ der Cheops-Pyramide oder der Fukushima-Reaktoren. Inzwischen können Myonen auch zur Navigation Indoors oder unter Tage verwendet werden (Muometric Positioning Systen, MuPS). Anders als GPS werden Myonen nicht durch Gestein, Erde, Geschossdecken oder Wasser behindert, auch ein Jamming ist nicht möglich. Abb. 1 zeigt eine Konzeptansicht für die Navigation im Keller eines mehrstöckigen Gebäudes.
Abb. 1. Konzeptansicht für die Navigation mit Hilfe von Myonen in Indoor- und unterirdischen Bereichen. Dargestellt sind im Gebäude des Institute of Industrial Science, University of Tokio, die Referenzdetektoren 1-4 in der 6. Etage (A. 6F). Die Flugbahnen der Myonen von den jeweiligen
Referenzdetektoren bis zum Empfängerdetektor im Basement (A. BF und C) sowie der muometrisch navigierte Weg (A. rot). H.K.M. Tanaka et al. First navigation with wireless muometric navigation system (MuWNS) in indoor and underground environments. Creative Commons CC-BY-NC-ND.iScience 26, 107000 (2023), doi.org/10.1016/j.isci.2023.107000
Bei uns haben die Schülerinnen und Schüler des Physik Grundkurses der 11. Klassen ähnliche Detektoren verwendet – allerding kleiner und für einfachere Anwendungen. Diese wurden über unsere Kollaboration mit dem DESY-Forschungszentrum in Zeuthen bereitgestellt. Da Teilchenphysik in der 11. noch nicht im Lehrplan steht, gab es am Vortag (25.11.24) einen Crashkurs, anschließend wurden alle Experiment schon einmal aufgebaut und ausprobiert. Am ICD24 selbst (26.11.24) wurden dann letzte Daten gewonnen, und die Ergebnisse aller Gruppen wurden dann zu einem Vortrag zusammengestellt, den Dominick B. dann im Videocall mit anderen Gruppen aus Italien und Frankreich vorgetragen hat. Anschließend kamen noch Fragen aus dem Publikum zu technischen Schwierigkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten – alles auf Englisch natürlich!
Da war zuerst einmal die Umwandlung von Myonen in Elektronen und Neutrinos. Myonen werden durch kosmische Strahlung in 10-15 km Höhe gebildet und haben mit ca. 2 µs eine sehr kurze Lebensdauer. Wenn ein Myon einen Detektor durchfliegt, kann es mit dem darin befindlichen Szintillator wechselwirken, Licht wird erzeugt und dieses in einen elektrischen Impuls umgewandelt – es kann gezählt werden. Die allermeisten Myonen wechselwirken aber nicht – sie fliegen ungezählt hindurch. Sonst kämen sie ja auch nicht durch das Dach und durch viele Geschosse. Wenn sich dann aber genau ein solches Myon nach Erfassung in dem Detektor in ein Elektron umwandelt, kann dieses Elektron in einem nächsten Detektor, der direkt darunter angeordnet ist, ebenfalls detektiert werden. Über die Flugzeit kann dann die mittlere Lebensdauer ermittelt werden. Eine dritte Platte dient als Veto – wenn hier auch ein Teilchen detektiert wird, zählt das Ereignis nicht, da es ja einfach ein Myon sein könnte, das alle drei Platten passiert hat (Abb. 2).
Abb. 2. Oben: Aufbauschema für Myon-Zerfall mit 3 CosMO (Cosmic Muon Observer)-Platten und Nachweisereignisse von Myon in oberster und Elektron in mittlerer Platte; letzte Platte ohne Nachweisereignis. Rechts: Aufbau real mit drei Platten (oberste Platte unter dem Rechner verdeckt) und der Datenkarte (links) – und vielen Kabeln.
Außerdem wurde ein Experiment zur Messung der Geschwindigkeit von Myonen durchgeführt, hier mit zwei CosMO-Platten im Abstand von 3,19 m im Dachboden (Abb. 3). Hier waren nur Doppelereignisse in beiden Platten zugelassen. So konnte die Geschwindigkeit mit dem bekannten Abstand und der gemessenen Zeit, die ein Myon für die Strecke von der ersten bis zur zweiten Detektor-Platte benötigt, berechnet werden. Am Cosmic Day hatten wir hier Werte von 83 % der Lichtgeschwindigkeit gemessen (Abb. 4).
Der theoretische Wert der Myonengeschwindigkeit liegt bei 299,7 Mio. m/s, das entspricht 99,96 % der Lichtgeschwindigkeit. Das gewichtete Mittel der eigenen Messungen kommt dem theoretischen Wert für so einen einfachen Versuchsaufbau also schon recht nahe. Allerdings ist auch zu erkennen, dass es Zählereignisse gibt, die hier z.B. nur 5 ns benötigen – das entspräche dann einer Geschwindigkeit, die über dem Doppelten der Lichtgeschwindigkeit entspricht. Dies zeigt natürlich nicht, dass Teilchen mit solchen Geschwindigkeiten existieren, sondern dass Apparatur und Anordnung auch fehlerhafte Ereignisse messen.
Abb. 3. Aufbau zur Geschwindigkeitsmessung von Myonen und Einstellungen der Software.
Abb. 4. Ergebnisse der Geschwindigkeitsmessung von Myonen. Verteilung von Myonen, die die Messstrecke in unterschiedlichen Zeiten durchlaufen haben. Der Peak liegt bei einer Zeit von 9,94 ns. Bei einer Messstrecke von 3,19 m ergibt sich eine Geschwindigkeit von 246 Mio m/s, das entspricht 83 % der Lichtgeschwindigkeit (c).
Schließlich wurde die Richtung, aus der die meisten Myonen kommen, mit jeweils zwei Detektoren, CosMO-Platten oder Kamiokannen, in einem gleichbleibenden Abstand, aber in unterschiedlichen Winkeln zum Zenit angeordnet. Die gemessenen Zählraten pro Zeiteinheit wurden dann gegen den jeweiligen „Zenitwinkel“ aufgetragen. Die CosMO-Platten wurden mit einem festen Abstand von 43 cm angeordnet, wobei eine Winkeleinstellung für 20 min gemessen wurde (Abb. 5). Die Kamiokannen-Detektoren wurden in einem Abstand von 77 cm angeordnet und für die verschiedenen Winkeleinstellungen jeweils für 30 min gemessen. Beide Anordnungen zeigten, dass die gemessene Myonenrate mit zunehmendem Zenit-Winkel abnahm (Abb. 5). Dies wird nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass Myonen, die z.B. „waagerecht“ einstrahlen, also senkrecht zum Zenit, einen viel weiteren Weg durch die Atmosphäre zurücklegen müssen (Abb. 8). Bei der kurzen Halbwertszeit von Myonen wird deutlich, dass sie den Weg „senkrecht“ (also mit 0° zum Zenit) bis zur Erdoberfläche noch schaffen, nicht aber bei 90°. Theoretisch sollte die Abnahme einer cos2-Funktion folgen – dies wurde teilweise erreicht (Abb. 6).
Abb. 5. Zenitwinkel-Messung mit 2 CosMO-Platten, an die Enden einer Kunststoffbox geklebt und die gesamte Apparatur um 45° gekppt. Myonenrate in Abhängigkeit vom Zenitwinkel sowie cos2-Funktion zum Vergleich.
Abb. 6. Zenitwinkel-Messung mit 2 CosMO-Platten, an die Enden einer Kunststoffkiste geklebt und die gesamte Apparatur um 45° gekippt.
Die Arbeit in Teams zur Gewinnung von Ergebnissen, deren Präsentation und Diskussion in der Gruppe, dann aber auch im internationalen Peer hat etwas wissenschaftliches Arbeiten und wissenschaftlichen Austausch vermittelt. Außerdem konnten wir so auch noch andere Experiment-Aufbauten kennenlernen, die aber auch alle die Messung von Myonen zum Ziel hatten. Indem wir bei der Auseinandersetzung mit dem Thema auch auf Zukunftspläne und Ziele großer internationaler Projekte eingegangen sind, haben wir viel über die Wichtigkeit von Grundlagenforschung, die Herausforderungen, sowie die Ideen hinter den Projekten erfahren. Auch die Unterstützung von Alumni aus dem Vorjahr (Emma R., Thoralf A.) war sehr hilfreich und haben den ICD24 an der Villa zu einer erfolgreichen Veranstaltung gemacht.