Feindselige Freundschaft

Während der Studienfahrt nach Weimar besuchte meine Klassenstufe am 7. April 2022 im „Theater am Stellwerk“ das Stück „Empfänger unbekannt“.
Das Theaterstück wird von Hannelore Bähr inszeniert. Als Grundlage dient der Briefroman „Adressat unbekannt“ von Kathrine Kressmann Taylor aus dem Jahr 1938, in dem sich der amerikanische Jude Max Eisenstein und der Deutsche Martin Schulse ihre alltäglichen Erfahrungen in der Zeit um Hitlers Machtübernahme in Briefen mitteilen.
Max und Martin betreiben eine Kunstgalerie in San Francisco. Als Martin 1932 zurück nach Deutschland kehrt, kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Martin und Max halten indes engen Kontakt, bis Martin zunehmend judenfeindlicher formuliert, zum Nationalsozialisten wird und einen Kontaktabbruch verlangt. Max jedoch glaubt an die Freundschaft und eine friedliche Wendung. Doch hier wird er enttäuscht: Als Griselle, Max‘ jüdische Schwester und einstige Geliebte von Martin, nach Deutschland geht, fürchtet er um ihr Leben und bittet Martin um Hilfe. Doch der verweigert jeglichen Schutz, sodass Griselle schließlich von SA-Männern getötet wird. Daraufhin rächt sich Max durch weitere provokante Kontaktversuche, welche an Geheimbotschaften erinnern, wodurch wiederum Martin in Gefahr gerät.
Inmitten von Stuhlreihen befindet sich die Spielfläche: Lediglich zwei Barhocker, ein Tisch, Gläser, dazu eine Karaffe Wasser und der Roman „Empfänger unbekannt“ dienen als Kulisse und Requisiten. Gänge gehen durch Stuhlreihen, die die Darsteller ebenfalls zur Darbietung nutzen. Es gibt keine erhabene Bühne, dies verstärkt den Eindruck, nicht nur Betrachter, sondern Teil des Geschehens zu sein. Die Zuschauer lauschen der Handlung konzentriert und interessiert.
Grelles Scheinwerferlicht ist auf die Spielfläche gerichtet, Musikuntermalung gibt es keine. Leider wirkt dies nicht immer passend, so fehlt bei dramatischen Szenen die bedrohliche Stimmung. Am Ende scheint die Publikumsreaktion verhalten: Verwunderung kommt zustande, als ein Schauspieler die Bühne verlässt, wohingegen der andere schweigend zurückbleibt. Ist das Stück nun vorbei?
Die beiden Hauptdarsteller Manuel Klein (Max Eisenstein) und Michael Raphael Klein (Martin Schulse) bieten auf eindrucksvolle Weise einen Einblick in die NS-Zeit und verdeutlichen zwei gegensätzliche Haltungen zu der damaligen Politik. Sie zeigen durch Mimik und Gestik die Reaktionen der beiden Männer auf die Briefe: Schock, Angst, Zweifel und Verleumdung. Dies wird besonders deutlich, als Max sich um seine Schwester sorgt. Dabei wird die Verzweiflung durch ein Beben und Zittern der Stimme und durch das Auf- und Abgehen des Schauspielers für den Zuschauer spürbar.
Max trägt einen schlichten beigefarbenen Wollpullover und eine Anzughose, was für eine bodenständige Authentizität spricht. Martin hingegen kleidet sich mit einem schwarzen Anzug, um seine – durch eine berufliche Weiterentwicklung erlangte -gehobene gesellschaftliche Stellung zu unterstreichen.
Schlussendlich setzt das Stück geschichtliches Hintergrundwissen voraus. Die Schwierigkeit zeigt sich in der Umsetzung des Stückes mit nur zwei Darstellern. So wirkt es oft monoton und es erfordert stetige Konzentration. Unmittelbar nach Ende fällt es zudem schwer, den Inhalt klar zu bewerten. So setzt für mich erst sukzessive und nach einer gewissen Distanz ein Empfinden für diese politisch ereignisreiche Zeit ein.
Auf die Frage nach einer Empfehlung für diese Inszenierung antworte ich mit einem Zitat aus dem Stück: „Ein einfaches Ja“. Denn insgesamt ist die Handlung spannend wie eindringlich und von politischer Aktualität.

Ina H., Klasse 10a